Know-How

06. Dezember 2020

High Touch und High Tech: Menschen machen Digitalisierung erfolgreich

Menschliche Faktoren entscheiden über den Erfolg der Digitalisierung. Die grössten Stolpersteine liegen nicht in der Technik, sondern bei Führung, Zusammenarbeit und Motivation. Der Artikel zeigt, wie sie aus dem Weg geräumt werden. Von Daniel Marek und Roger Wernli*, ursprünglich erschienen in: Organisator, Nr.11-12/20, S.24-25.
Viele verschiedene Menschen auf einer Kreuzung

Seit Corona sind Videokonferenzen Standard, auch das Arbeiten zu Hause klappt recht gut. Obwohl die Technik schon lange vorhanden war, verhalf erst die Notwendigkeit des «Physical Distancing» diesen Praktiken zum Durchbruch. Das Beispiel zeigt, wo die Treiber der Digitalisierung liegen: Die Menschen mit ihren Wünschen und Bedürfnissen müssen gewonnen werden. Dass «User Experience (UX)», das Kundenerlebnis, über den Erfolg digitaler Geschäftsmodelle entscheidet, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Aber wie sieht es mit der «Team Experience» aus? Zahlreiche digitale Initiativen scheitern, weil sie von den Mitarbeitenden nicht getragen wurden oder weil die Führungskräfte unrealistische Vorstellungen haben (vgl. Box).

Typische Pannen bei Digitalisierungsprojekten

> Innovationstheater: Die Unternehmensleitung übt sich in Worthülsen und Alibiaktionen, eine wirkliche Veränderung ist nicht erwünscht. Die Mitarbeitenden haben keinen Anreiz oder keine Möglichkeit, sich an Digitalisierungsprojekten zu beteiligen.

> Hau-Ruck-Verfahren: Digitalisierung führt zu neuen Stellenprofilen, sie verändert die Zusammenarbeit und kann mit der vorherrschenden Unternehmenskultur kollidieren. In der Regel erfordern neue Stellenprofile auch ein anderes Know-how. Der Wunsch nach einem schnellen Start verleitet zur Missachtung dieser Aspekte.

> Nutzenkeule: Die Führungsebene fordert sofortige Resultate, anstatt einen Innovationsschub freizusetzen. Lernprozesse sind dadurch blockiert; es stehen zu wenig Ressourcen für Neuentwicklungen und Experimente zur Verfügung.

> Stabsübung: Die Geschäftsleitung ist nicht involviert bzw. die Verantwortlichen haben keinen Bezug zum Kerngeschäft. Digitalisierungsinitiativen führen ins Abseits oder es fehlt ihnen an Durchschlagskraft gegenüber Sonderinteressen operativer Einheiten.

> Fahrt ins Blaue: Realistische Ziele und klare Roadmaps fehlen. Der Mangel an aussagekräftigen Daten für die Erfolgsmessung erlaubt keine sinnvolle Steuerung. Digitalisierung wird zur Fahrt ins Blaue.

Die Voraussetzungen für den Erfolg

Daher gilt «High Touch und High Tech». Die Faktoren Leadership, Mindset und Skills verdienen gleich viel Beachtung wie Geschäftsmodelle, Technologie und Organisation (vgl. Grafik). Alle Faktoren müssen sich im Gleichgewicht befinden, damit die Voraussetzungen für erfolgreiche Digitalisierungsprojekte gegeben sind.

Bild
Grafik mit den Erfolgsfaktoren der Digitalisierung

Digital Leadership

Dies ist keine wolkige Wohlfühl-Veranstaltung. Digital Leadership beinhaltet klare Aufträge an die Führungskräfte. Als Erstes müssen sie Sinn, Zweck und Nutzen der Digitalisierung aufzeigen können – und zwar auch für die Mitarbeitenden. Nur mit einer überzeugenden Antwort auf die Frage «Wofür?» können Digitalisierungsinitiativen Zugkraft entfalten. Als Zweites benötigen die Mitarbeitenden Handlungsspielräume, damit sie die Chancen der Digitalisierung nutzen können. Drittens sollten Führungskräfte mit dem guten Beispiel vorangehen und das Digital Mindset (vgl. unten) vorleben.

Digitales Mindset

«Kultur» wird oft als Worthülse verwendet und ist umstritten. Mindset lässt sich dagegen mit Geisteshaltung übersetzen. Eine positive Sicht der Digitalisierung (als Chance) ist zweifelsohne die Grundlage dafür, wobei unkritische Technikbegeisterung eher schadet als nützt. Ein digitales Mindset zeichnet sich zudem durch die Bereitschaft aus, Althergebrachtes im Hinblick auf ein besseres Kundenerlebnis zu hinterfragen. Der Mut zum Experimentieren und die Bereitschaft zur kontinuierlichen Verbesserung sind weitere Merkmale.

Digital Skills

Damit ist nicht nur die Fähigkeit gemeint, digitale Tools zu nutzen. Digitale Skills umfassen darüber hinaus die Fähigkeit, Potenziale und Chancen zu erkennen, die digitale Werkzeuge beinhalten. Hinzu kommt die Anwendung entsprechender Methoden, etwa des Design Thinking.

Zitat
Menschen bzw. Teams stehen auch bei Digitalisierungs-Initiativen im Vordergrund, nicht allein die Technologie.

Geschäftsmodelle

Sie sind der Kern der Digitalisierung. Ihre Bedeutung ist so oft betont worden, dass hier eine stichwortartige Aufzählung der wichtigsten Elemente genügt: Kenntnis der Zielgruppen und ihrer Wünsche, attraktive Leistungen einschliesslich eines überzeugenden Kundenerlebnisses, Ertragsmodelle und effiziente Wertschöpfungsketten.

Organisation

Prozesse und Strukturen müssen den neuen Geschäftsmodellen angepasst werden. Es ist hier nicht möglich, auf alle Finessen des Organisationsdesigns einzugehen. Einen bewährten Grundsatz sollte das Organisationsdesign in jedem Fall beachten: «Form follows function.» Prozesse und Strukturen sollten so gestaltet sein, dass ein optimales Kundenerlebnis und eine effiziente Wertschöpfung resultieren.

Technologie

Technologie ist der Pflichtteil. Leistungsfähigkeit, einfache Bedienung bei hoher Datensicherheit sind zwingend. Wer hier nicht sattelfest ist, sollte sich Unterstützung holen.

Auf den Weg machen

Digitalisierung ist ein Prozess, kein Zustand. Auch die «Mechanisierung» war kein einmaliges Ereignis. Vielmehr drangen Maschinen nach und nach in unterschiedliche Sektoren vor, als die Menschen erkannten, wie sie sich damit die Arbeit erleichtern konnten. Wer Digitalisierung anstrebt, begibt sich auf eine Wanderung. Gerade in kleineren und mittleren Unternehmen verspricht die schrittweise Digitalisierung von Prozessen und Dienstleistungen Erfolg. Einfach anfangen ist zuweilen besser als umfassende Konzepte. Nicht selten kommen die guten Ideen unterwegs. Die Mitarbeitenden müssen auf diesen Weg mitgenommen werden, damit sie in der Auseinandersetzung mit dem Thema neue Anwendungsmöglichkeiten entdecken. Dabei ist nicht Perfektion gefragt, sondern brauchbare Lösungen. Die Unternehmensleitung sollte den Takt vorgeben und Lernen, etwa aus Interaktionen mit Kunden, einfordern. Es ist danach die Aufgabe der Team- und Organisationsentwicklung, passende Feedback-Mechanismen aufzubauen und Teams zu unterstützen. Bei allem Lernen sollte aber nicht vergessen gehen, bereits erreichte Erfolge zu feiern. Wie auf jeder Wanderung, zählt nicht nur das Equipment, sondern ebenso sehr die Freude und die Ausdauer der Equipe.

Previon digitale Strategie

Checkliste für eine erfolgreiche Transformation

>  Digital Leadership: Ist der Nutzen und die Zielrichtung der Digitalisierung allen Beteiligten bekannt? Haben die Mitarbeitenden genügend Befugnisse und Mittel für Digitalisierungs­ projekte?

>  Digital Mindset: Wie bewerten Mitarbeitende und Führungskräfte die Chancen der Digitalisie­ rung? Wie gross ist die Veränderungsbereitschaft, etwa um neue Verfahren oder Instrumente einzuführen? Wie weit sind Experimente erlaubt? Welchen Stellenwert hat die kontinuierliche Verbesserung?

>  Digital Skills: Wie gut kennen sich die Mitarbeitenden mit digitalen Tools aus? Wie weit ist die Fähigkeit entwickelt, neue Anwendungsgebiete selbst zu entdecken?

>  Organisation: Verschaffen die Strukturen den Mitarbeitenden genügend Spielraum? Tragen die Prozesse zu einem optimalen Kundenerlebnis bei? Sind die richtigen Personen in der richtigen Position?

 

*Über die Autoren

DANIEL MAREK
Dr. phil. hist., Organisationsbera­ter und Coach BSO, führt in Zü­rich ein eigenes Beratungsunter­ nehmen. www.danielmarek.ch

ROGER WERNLI
ist Gründer von Previon Plus AG, einem Unternehmen für Digitale Transformation und Strategie. www.previon.ch